Archiv der Kategorie: Management

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Der unumgängliche Blick auf Tätigkeiten

Bevor Arbeit in immer kleinere, in kürzester Zeit erlernbare Teilschritte zerlegt wurde, lag das Meiste in einer Hand. Handwerker hatten über Jahre alle Fertigkeiten gelernt, um etwas von A bis Z herzustellen – und entwickelten den letzten Schliff ohne Unterlass weiter. Die wirtschaftlichen Auswirkungen wurden durch deren Können bestimmt. Bis heute verantworten Handwerker ihre Erzeugnisse und verfügen unbestritten über das Recht, jegliche Entscheidungen von der Entwicklung bis zum Vertrieb zu treffen. Im Gegensatz dazu wurden während der Industrialisierung unvorbereitete Landarbeiter in die einfachen,  „maschinellen“ Abwicklungen eingeführt, die ohne das Verständnis der übergreifenden Zusammenhänge ausführbar waren – anschaulich verkörpert von Charlie Chaplin in Moderne Zeiten. Damals begann die Aufteilung der Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung (AKV) sowie die Abwälzung der Rollenbestandteile auf unterschiedliche hierarchische Schultern. Der Aufgabenträger verfügt dadurch weder über die Kompetenz noch über die Verantwortung für seine Ergebnisse. Der Kompetenzträger ist befugt, aber macht nichts und ist für fast nichts verantwortlich. Der Verantwortungsträger steht für das Ergebnis gerade, ohne etwas praktisch beizutragen oder zu dürfen. Das Ende dieser unbefriedigenden Sackgasse ist erreicht.

Aufgrund der beschleunigten Fortschritte in der Wirtschaft müssen Unternehmen nach mehr als zweihundert Jahren, ihren veralteten Blick auf Rollen radikal erneuern. Es ist jedoch blauäugig zu meinen, dass in der neuen Arbeitswelt AKV nicht mehr benötigt wird. Auch wenn die langfristig starren Stellenbeschreibungen der Vergangenheit angehören, braucht man für die dynamischen, sich immer wieder ändernden Rollen, weiterhin eine Form, um zu verstehen, was Andere machen.

  • Das A kennen und meistern
    Die Aufgabe beschreibt die Tätigkeiten einer Rolle – verrichtende und leitende, z. B. Bestellungen verschicken; Transparenz schaffen. Damit die Betroffenen verstehen, was zu tun ist, müssen sie die Bestandteile der Aufgabe kennen und in der Lage sein, die Tätigkeiten zu erledigen. Es reicht nicht eine Aufgabe vage zu betiteln und die Vorgabe, seine Abläufe selbst festzulegen. Den Repräsentanten des Unternehmens, egal wie viele es zukünftig noch sein werden, bleibt die Aufgabe einen Rahmen zu schaffen, um das Zusammenspiel aller sicherzustellen. Solange die Aufgabenträger ihre Aufgaben nicht kennen und können, werden sie in natürlichen Widerstand gehen.
  • Das K dürfen
    Die Kompetenz beschreibt die Rechte einer Rolle. Die Mitarbeiter müssen bevollmächtigt sein, eine Aufgabe durchzuführen – etwas zu tun; etwas zu entscheiden. Die Erteilung der Befugnis sollte möglichst so stattfinden, dass alle Beteiligten verstehen, worauf sie sich einlassen bzw. wo die Grenzen ihrer Kompetenz liegen. Dies bedeutet eine Verschiebung der Macht, weg von den früheren Hierarchen und hin zum Ort des Geschehens, zu den Ausführenden. Dürfen die Betroffenen nicht das, was sie umsetzen sollen, werden sie in natürlichen Widerstand gehen.
  • Das V wollen
    Die Verantwortung beschreibt die Pflicht zur Rechenschaft für Handlungen, Ergebnisse und Folgen, die sich bezüglich der Leistung ergeben. Dies kann einerseits die Eigenverantwortung für das eigene Tun, aber auch für das Tun der zugeordneten Mitarbeiter sein. Gleichzeitig ist man Teil eines Führungsteams und hat damit auch die Mitverantwortung für die Entscheidungen der Kollegen, die meistens in entsprechenden Gremien bestätigt werden. Die Übernahme der Verantwortung müssen die Betroffenen wollen, denn ansonsten werden sie in natürlichen Widerstand gehen.
  • AKV in einer Hand
    Während im Maschinenzeitalter AKV auf verschiedene Ebenen verteilt wurde, erfordert die Beschleunigung des Geschäfts die erneute Bündelung am Ort des Geschehens, da die alten Kommunikations- und Weisungswege zu lange dauern. Aus diesem Grund sollte AKV eigentlich schon lange in einer Hand liegen. Solange dies nicht erfolgt, ist New Work nicht umsetzbar, da alle Beteiligten, die Chefs UND die Mitarbeiter, ihre eigene Agenda nicht erfüllen können und deshalb in natürlichen Widerstand gehen.

Bei näherem Hinsehen wird denen, die die Zeichen der Zeit verstanden haben, klar sein, dass die alten Strukturen nicht mehr in die heutige Zeit passen. Spätestens, wenn die Steuerung des Geschäfts in den Händen der Ausführenden liegt, haben aufwendige und teure Hierarchien ihre Existenzberechtigung verloren. Die befreiten Unternehmen (siehe: Liberated Company) haben schon länger Wege gefunden, die althergebrachten Strukturen aufzubrechen und besser zu werden – vom Beauftragen zum Begeistern, vom Manager zum Leader; von der kurzen Leine zur langen; von Fremdsteuerung zu Selbststeuerung.

Fazit: Nicht die Auflösung der Rollen, sondern deren Flexibilisierung macht den Unterschied. Ermächtigung, die, mit dem vollen Bewusstsein und aus eigenem Antrieb, grundsätzliche Veränderungen in der Zusammenarbeit anstrebt, stellt sicher, dass die Mitarbeiter ihre Aufgaben kennen und können, über wenige Beschränkungen verfügen und bereit sind, die vereinbarte Verantwortung zu übernehmen. Dies wird jedoch nur dann klappen, wenn die alten Strukturen aufgelöst und die verbleibenden neu gedacht werden. Dafür wird man nicht umhin kommen, die Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung, d. h. Rollen, zu beschreiben. Diese Beschreibungen sind keine bürokratischen Instrumente mehr, sondern ein Mittel zum Austausch der Standpunkte. Sie werden nicht so lange bestehen wie die alten Stellenbeschreibungen, sondern sie liefern bei Bedarf Klarheit, wer, für was zu einer bestimmten Zeit zuständig ist – für die Anderen und für sich selbst. Der ausformulierte Blick auf die Tätigkeiten ist unumgänglich, um sich abzustimmen, Doppelarbeit zu erkennen, gegensätzliche Anstrengungen zu verhindern und langfristig über ein leistungsfähiges Unternehmen zu verfügen.

Einsatzgruppe in die Dunkelheit

Kurz nach Mitternacht führte ein Mann seinen Hund Gassi. Am Ende seiner Straße sah er eine Gruppe von jungen Leuten, die neben einer Straßenlaterne auf dem Boden herumrutschten. Neugierig näherte er sich.
„Was machen Sie denn?“
„Wir wohnen da hinten in einer Pension und haben den Schlüssel verloren.“
Die Blicke des Mannes suchten ebenfalls den Boden ab: „Haben sie ihn hier verloren?“
„Keine Ahnung. Einer hat hier angefangen zu suchen und wir haben einen Kreis gebildet.“
„Warum suchen sie denn dann hier?“
Der Jugendliche schaute ihn verdutzt an: „Das ist doch der einzige beleuchtete Bereich.“
Diese leicht angepasste Geschichte von Paul Watzlawick schafft den Rahmen für die Einsatzgruppe in die Dunkelheit.

Für etablierte Unternehmen erzeugt die Gruppendynamik eine ungewollte Beschränkung, die besondere Maßnahmen erfordert, um ungenutzte Potenziale zu eröffnen. Einen Ansatz bietet Red. Teaming für Mutige.

  • Die Idee
    Wenn wir nach neuen Möglichkeiten suchen, folgen wir nicht nur dem Weg des geringsten Widerstands. Es gibt sogenannte kognitive Verzerrungen (Biases), die verhindern, dass wir das Naheliegende in Betracht ziehen: Gruppen neigen dazu an die erste gefundene Evidenz anzuknüpfen (Ankereffekt), der Meinung der Mehrheit zu folgen (Mitläufereffekt) oder im Nachhinein eine logische Erklärung zu finden, die zukünftige Handlungen bestimmt (Rückschaufehler). Zur Überwindung von derartigen Trugschlüssen muss man gewohnte Wege verlassen. Das Red Team liefert nicht zwingend einen Ausweg, aber es erzeugt den kreativen Druck, der neue Perspektiven liefert.
  • Das Vorgehen
    Es geht hierbei weniger um eine detaillierte Planung, sondern um die entschlossene Umsetzung der Schritte. Es beginnt vorab mit der Klärung der Aufgabe, d.h. die erwarteten Ziele und Ergebnisse. Darüber hinaus braucht man die vorbehaltlose Billigung und Unterstützung der Führung.
    Im ersten Schritt untersucht man die Gegebenheiten, um Schwierigkeiten, falsche Schlüsse und mentale Modelle aufzudecken. Im zweiten Schritt werden die sich ergebenden inneren und äußeren Ursachen betrachtet und die eigentliche Initiative vorbereitet. Im dritten Schritt wirkt das Red Team in Sitzungen, Workshops und sonstigen Veranstaltungen mit Beiträgen, die den normalen Rahmen der Entscheidungsfindung sprengen – z.B. mit überraschenden Annahmen, ungewohnten Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und radikalen Vorschlägen.
    Die Dauer der Maßnahmen hängt von dem jeweiligen Umfang und den Erwartungen des Führungsteams ab – z.B. von ein paar Tagen, bis zu einem halben Jahr. Das abschließende After-Action-Review bietet eine Zusammenfassung der feststellbaren Ergebnisse.
  • Das Toolset
    Im eigentlichen Sinne handelt es sich bei Red Teaming um vorbereitetes Querdenken – intuitiv, volatil, unbefangen, herausfordernd und ertragreich. Dabei werden Werkzeuge wie Checklisten, Punktebewertungen, Mindmaps, Brainstorming, Storyboarding, 1-2-4-Alle, Modeling-Canvasses und ansonsten verfügbaren Gruppeninteraktionen genutzt. Entscheidend ist das Mindset, das nichts als gegeben hinnimmt, für alles offen ist und denkt wie der listigste Gegner – wie unrealistisch, unpassend oder unfair es auch scheinen mag. Die Werkzeuge sind meistens verfügbar und müssen nur von dem Gruppenzwang der Selbstbeschränkung befreit werden. Es gelten die Regeln des Brainstormings – alles, was denkbar ist und ausgedrückt wird, ist möglich; Kritik ist verboten; die Menge ist entscheidend, nicht die Güte; Ideen gehören allen; fantasieren wird begrüßt.
  • Das Ergebnis
    Um die Maßnahme nachvollziehen zu können, erzeugt das Red Team einen Bericht mit dem Auftrag, den ermittelten Schwächen, Logiken und Überzeugungen, der Auswertung der internen und externen Einflüssen, dem Vorgehen und der Liste der Maßnahmen sowie den beobachteten Auswirkungen. Allen sollte klar sein, dass das Red Team mit seinen Annahmen und Ergebnissen nicht automatisch recht hat. Die wesentliche Absicht ist die Erzeugung von stimulierendem Stress durch kritische und unkonventionelle Hinweise, Vorschläge und Lösungen.

Fazit: Der Weg aus der Box ist eine zentrale Aufgabe für Unternehmen, vor allem, wenn sie in gemeinsamen, erfolgreichen Gewohnheiten gefangen sind. Dabei befinden wir uns in schnelllebigen Zeiten, die jedes noch so blühende Geschäft bedrohen. Damit man auf einschneidende Veränderungen der Umwelt vorbereitet ist, braucht es mehr als in den gewohnten Fischgründen seine Netze auszuwerfen. Der Schlüssel liegt nicht im Schein der Laterne, sondern vor allem im Unbekannten. Red Teaming ist ein wirkungsvoller Ansatz, seine Denkbahnen, den kognitiven Verzerrungen und etablierten Schlussfolgerungen, zu verlassen. Sobald die Führungsmannschaft sich entschließt, die dunklen Bereiche zu erforschen und zu nutzen, eröffnen sich neue Möglichkeiten für das Unternehmen. Es ist Zeit Einsatztruppen in die Dunkelheit zu schicken.