Eine der Hürden auf dem Weg zu Agilität und Entrepreneurship, einer lebendigen Unternehmenskultur und einem sicheren psycho-sozialen Klima, echter Selbststeuerung und intrinsischem Commitment sind die Entscheider. Mit der Übergabe von Handlungsvollmachten und verteilter Selbststeuerung verlieren sie ihre Raison d’être. Sie übersehen dabei, dass diese neuen Ansätze vor allem Ausdruck ihres Unvermögens sind, sich stimmige Strukturen einfallen zu lassen, die den Absturz in die Anarchie verhindern. Führung hat sich in der Evolution solange als wirksam gezeigt, bis die Anzahl der Mitglieder den Bereich der Dunbar-Zahl erreicht – unsere Fähigkeit mit nicht mehr als ca. 150 Menschen umgehen zu können. Gleichzeitig können wir uns den modernen Anforderungen nach mehr Selbstständigkeit der Mitarbeiter verschließen. Damit fallen einige Führungsstile für das Management in Zukunft weg – Diktatur, rigide Befehlsketten, Mikromanagement.
Die beiden Bereiche, mit denen sich die Führung immer auseinandersetzen muss, sind die Verteilung der Rollen (d.h. zentralisiert vs. dezentralisiert) und die Art der Entscheidungsfindung (d.h. Bottom-up vs. Top-Down).
- Fragmentierter Ansatz
Das Extrem der Anarchie beginnt bereits, wenn die Leitenden den verteilt Arbeitenden die Entscheidungen überlassen und diese ihre Wünsche von unten nach oben durchsetzen, ohne sich abzustimmen. Mit diesem zersplitterten Ansatz wären zwar alle dezentralen Aspekte berücksichtigt, allerdings gäbe es keine abgestimmten, gesamtheitlichen Vorgehen. In der Konsequenz ist jeder Standort eine selbstständige Einheit, die lokal entscheidet, über eigene unabgestimmte Ansätze und eine eigene Sicht des Geschehens verfügt sowie situationsbezogen agiert.
Das Unternehmen verkommt zu einer Adhokratie mit einer formellen Holding ohne Aufgabe. - Allgemeiner Ansatz
Ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse der Standorte lassen sich keine viablen Ansätze mehr finden. Ein Bottom-up-Ansatz, der abzustimmende Maßnahmen nutzt, ggfs. über mehrere Stufen, ist der Ausweg aus einem ungreifbaren Durcheinander der Absichten. Voraussetzungen sind eine gemeinsame Haltung und die frühzeitige Berücksichtigung der einzelnen Standpunkte. Dafür werden bereits erfolgte Umsetzungen auf verschiedenen Ebenen nachjustiert. Liebgewonnene Besonderheiten im Interesse aller werden nachträglich geopfert – die Abschnitte müssen bei dem übergeordneten Bereich Entscheidungen anfordern sowie abgestimmten, bürokratischen Abläufen folgen, um abschließend ein benötigtes Ergebnis zu erhalten.
Das Unternehmen schafft eine Bürokratie mit mehreren Ebenen und wird zu einem starren Apparat mit aufwendigen Entscheidungen, viel Doppelarbeit und Nachbesserungen. - Gemeinsamer Ansatz
Durch einen von oben vorgegebenen Rahmen können unnötige Anstrengungen im Vorhinein abgefangen werden. Mithilfe einer übergreifenden Strategie, einem gemeinsamen Selbstverständnis, einem bindenden Handlungskorridor und einem gemeinsamen Verhaltenskodex können die Dezentralen ihre Bedürfnisse einbringen und verwirklichen, solange sie sich im Rahmen bewegen. Auch hier müssen die Standorte auf gewünschte Besonderheiten verzichten, können gemeinsame Errungenschaften übernehmen und Entscheidungen vorschlagen. Sie entwickeln gemeinsam wiederverwendbare Bausteine, abgestimmte Abläufe und sich gegenseitig ergänzende Ergebnisse.
Das Unternehmen wird zu einer Demokratie mit einer klaren Ausrichtung und gemeinsamen Spielregeln. - Konzentrierter Ansatz
Das Extrem der starren Zentrale beginnt, wenn die Bedürfnisse der Standorte übergangen werden und eine kopflastige Zentrale den operativen Bereichen diktiert, was zu tun ist – ohne jemals selbst etwas praktisch zu tun. In diesem Ansatz erzeugen die einzelnen Bereiche (Einkauf, Personal, Strategie, Produktmanagement, Vertrieb usw.) Vorgaben für die Standorte. Bei aller Zentralität allerdings keine bereichsübergreifenden Anforderungen. Anstelle vervollkommnet sich jeder Bereich auf Kosten der anderen – jeder für sich. Der unzureichende Kontakt zur Basis, die Entscheidungen am grünen Tisch und die fehlende Verantwortung erzeugen innerbetriebliche Störungen, die die Viabilität beschädigen. Gleichzeitig werden aber unternehmensweite Entscheidungen und Strukturen möglich, mit zuverlässigen Abläufen und einem gültigen Ergebnis.
Das Unternehmen degeneriert zur Autokratie mit einer Machtstruktur fernab der realen Welt, die nicht viabel ist, da nicht nur ein Mangel an Verständnis vorherrscht und unangemessene Entscheidungen getroffen werden, sondern gleichzeitig auch die Energien der Standorte ungenutzt bleiben.
Fazit: Der Grund, warum immer wieder alter Wein in neue Schläuche gefüllt wird, ist die Tatsache, dass die Manager auf die heutige VUKA-Welt keine Antworten haben. Das Geschäft ist nicht mehr überschaubar oder planbar. Es fehlen zuverlässige Strukturen, an denen man sich ausrichtet. Jede Simulation des Geschäfts liefert nichts weiter als Wahrscheinlichkeiten, die durch den nächsten Schwarzen Schwan zunichtegemacht werden. Die Geschwindigkeit, in der sich die Welt verändert, erlaubt keine Befehlsketten, sondern erfordert Wellen der Inspiration, die alle stimulieren. Es geht nicht mehr ohne das Zusammenspiel mit den Menschen, die am Ort des Geschehens sind – im Entwicklungsbüro der offene Austausch von Ideen, in der Produktion die Transparenz des Produkts, im Vertrieb das Verständnis der Kunden oder im nachgelagerten Service die Verfügbarkeit der bekannten Lösungen. Vor Ort stecken die Fähigkeiten, die eine gute Erbringung der Leistungen ermöglicht. Könnten die Führungskräfte diese Potenziale so steuern, dass sie viable Ergebnisse für das Unternehmen erbringen, dann bekämen wir in Zukunft wieder eine sinnvolle Managementbeteiligung.