Immer weniger für immer mehr

Bei jedem privaten oder geschäftlichen Kauf bewerten wir, ob die jeweilige Leistung den Preis rechtfertigt. Interessant finde ich den praktischen Ansatz eines Kollegen, der den Wert eines Buches auf einfache Weise ermittelt. Zuerst wiegt er das Buch in seiner Hand und fühlt die Haptik. Dann wirft er einen Blick auf die Anzahl der Seiten und beurteilt die Bindung des Buches. Abschließend prüft er das Schriftbild, die Illustrationen und das Wording auf einer zufälligen Seite des Buches. Aus allen Kriterien ergibt sich seine Bewertung des Buches, unabhängig von dem eigentlichen Inhalt.

So einfach ist es bei der geschäftlichen Beschaffung nicht, da die Leistungen, Produkte und Services, sich nicht derart einfach prüfen lassen. Schon die Spezifikation von SMARTen Qualitätskriterien fällt dem beschaffenden Unternehmen schwer. Langjährige Einkaufsmacht hat die Einkäufer die Fähigkeiten, Angebote umfassend und fair zu schätzen, vergessen lassen. Dies ist ein Grund, dass sie einfach immer weniger für immer mehr bezahlen wollen.

Immermehr

Ein Ansatz ist es die Menschen, die Maschinen, das Material, die Infrastruktur und die Marge des Anbieters sachlich zu bewerten. Das Ergebnis ist eine realistische, für alle Seiten akzeptable Preisfindung, die langfristig Lieferanten und Unternehmen überleben und prosperieren lassen. Neben einer Spezifischen, Messbaren, Adäquaten, Relevanten und Testbaren Beschreibungen der Anforderungen, hilft es die folgenden Bestandteile einer Leistung zu berücksichtigen.

  • Menschen
    Jede Leistung wird von einer bestimmten Anzahl an Menschen erbracht. Sie müssen über Fähigkeiten verfügen und zuverlässig zusammenarbeiten. Gleichzeitig brauchen sie humane Arbeitsbedingungen und eine Entlohnung, die ihnen das Überleben sichert. Wird ein Aspekt nicht erfüllt, entstehen Probleme, die das Gesamtsystem des Beschaffers gefährden.
  • Maschinen
    sind ein wichtiger Bestandteil der Wertschöpfungskette. Die Zuverlässigkeit und die Güte der Ergebnisse werden durch die Güte der Komponenten und deren Verarbeitung bestimmt. Gute Maschinen kosten mehr. Auch die Erbringung von Services erfordert Gerätschaften – vor allem Computer. Deren Zuverlässigkeit bestimmt die stetige Erbringung der Dienstleistungen. Ausfälle der Maschinen gefährden das Gesamtsystem des Beschaffers.
  • Material
    Manche Leistungen hängen von Rohstoffen oder besonders behandelten Werkstoffen und Teilen ab. Da mittlerweile ein weltweiter Wettbewerb um Rohstoffe entbrannt ist, lassen sich die Lieferanten nicht mehr auf unfaire Preise ein. Statt dessen müssen die abhängigen Hersteller froh sein, überhaupt beliefert zu werden. Eine ungeschickte Beschaffungspolitik kann das Gesamtsystem des Beschaffers gefährden.
  • Infrastruktur
    Die Infrastruktur beginnt bei der Stromversorgung, geht über die Transportwege bis hin zu den einzelnen Gebäuden. In Krisengebieten kann es schnell zu einem Ausfall der Infrastruktur kommen. Das dadurch gestiegene Risiko ist nicht unbedingt Teil der Berechnung der Wirtschaftlichkeit von Verlagerungen ins Ausland. Die Folgen von Erdbeben, von Piraten und einer schlechten Bausubstanz können das Gesamtsystem des Beschaffers gefährden.
  • Marge des Anbieters
    Alle gewinnorientierten Unternehmen streben nach Wachstum. Leider geschieht das Wachstum immer auf Kosten Anderer. In den letzten zwanzig Jahren haben Konzerne ihre Beschaffung so angepasst, dass langfristige Verträge ihnen ständig sinkende Preise bescheren. Der Lieferant hat nur wenig Spielraum (s. die vorherigen Punkte). Was bleibt, ist der Verzicht auf Teile der Marge. Gibt der Zulieferer diese nicht gewinnbringenden Geschäfte auf, kann dies das Gesamtsystem des Beschaffers gefährden.

Unter dem Titel einer wettbewerbsorientierten Beschaffung geben sich die Unternehmen dem Trugschluss hin, dass sie stets ausreichend Lieferanten haben, um immer günstigere Preise verhandeln zu können. Der frühere Haus- und Hoflieferant, der 80% für ein Unternehmen gearbeitet hat, orientiert sich neu und liefert vielleicht nur noch 20%. Damit verpufft langsam, aber stetig die Einkaufsmacht der Unternehmen. Heute gewinnen die Zulieferer die Kontrolle und bestimmen, wer was bekommt. Ein vernünftiger Vergleich der Leistungen ist die Grundlage für die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit, die in der Vergangenheit alle beteiligten Unternehmen am Erfolg teilhaben ließen.

Fazit: Jede Leistung sei es ein Produkt oder ein Service, erzeugt Aufwand bei der Erstellung. Sobald dieser Aufwand nicht honoriert wird, krankt nicht nur der zu gering bezahlte Zulieferer. Es kommt früher oder später nicht nur für den Zulieferer, sondern auch für das beschaffende Unternehmen, zum Kollaps. Nur mit Preisen, die das Überleben von allen Beteiligten sichern, bleibt das Gesamtsystem lebensfähig.