Nicht erst seit dem Internet hat sich der Hang zu immer kürzeren Texten entwickelt. Blog-Einträge liefern Fakten, Meinungen und Klatsch mit weniger als 1000 Wörtern. Im Extremfall packt ein Tweet Ausdrücke in 140 Zeichen. Damit wird es zusehends wichtiger sich bewusst zu machen, dass ein Text nur einen Teil der Bedeutung in sich trägt. Zwischen den Zeilen steckt zusätzliche Bedeutung.
Der Weg zu diesem zusätzlichen Sinngehalt führt über Fragen bezüglich der folgenden Aspekte.
- Absichten
Jeder Text wird mit einer bestimmten Absicht geschrieben, die sich nicht unbedingt im Text offenbart. Beschreibt jemand Missstände, wie es beispielsweise die USA im Zuge der VW-Krise macht, so vermittelt der Text hehre Gründe, wie den Schutz der Umwelt oder der Konsumenten. Könnte man hinter die Kulissen sehen, so würden vielleicht die wahren Absichten sichtbar – Beeinflussung des Automobilmarktes oder die Schädigung der europäischen zugunsten der amerikanischen Wirtschaft.
Die Frage, die sich stellt, ist: Was sind die wahren Absichten des Autors? - Konzepte und Begriffe
Die Wörter, die in einem Text genutzt werden, entstammen der Gedankenwelt des Autors, die er durch Konzepte und Begrifflichkeiten gelernt hat. Zwar lassen sich im Deutschen schnell neue Begriffe schaffen, in dem man zwei Substantive zusammenstellt, wie z.B. Freude und Hunger zu Freudehunger. Aber das so entstandene Wort wird manchen verständlich und anderen unverständlich sein. Wird das Wort im Zusammenhang mit Psychologie genutzt, entsteht eine andere Assoziation, als wenn man es in einem Kochbuch findet. Am Ende kann man nicht wissen, was der Schreiber ursprünglich gemeint hat.
Die entsprechenden Fragen lauten: In welchem Kontext werden die Worte genutzt? Was bedeuten die Worte? - Normen
Alle Texte entstehen in einem kulturellen Zusammenhang mit bestimmten Normen. Schreibt ein US-Amerikaner einen Text, so steht dort stets das Individuum im Mittelpunkt – der amerikanische Traum stachelt zu besonderen Leistungen an. In asiatischen Ländern entsteht der Text im Rahmen eines sozialen Beziehungsnetzes – der Ansporn ergibt sich aus der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft.
Die passende Frage lautet: Welche Normen schieben die Bedeutung in welche Richtung? - Art und Weise des Textens
Die Herstellung von Texten kann sehr unterschiedlich erfolgen. Handgeschriebene Texte im Elfenbeinturm haben einen anderen Charakter, als mit der Hand geschriebene Texte in einem Café, als mit der Schreibmaschine gestippte, als mit dem Computer erfasste oder mit dem Diktiergerät aufgenommene Sätze. Das Gleiche gilt übrigens auch beim Textverständnis – gelesen oder gehört. Entsprechend des Vorgehens haben Texte einen mehr oder weniger zu Ende gedachten Handlungsstrang sowie die entsprechende Konsistenz der Gedanken.
Die Fragen lauten: Wo und wie wurde der Text geschaffen? - Gefühle
„Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ Mit diesem Satz hat Ludwig Wittgenstein seinen Tractatus Philosophicus beendet. Und hier findet sich auch die Grenze des Ausdrucks. Gefühle, die uns bewegen und für die uns die Worte fehlen, lassen sich entsprechend auch nicht mit Worten darstellen. Nichtsdestotrotz wirken sie auf den Fluss und die Schlüsse, die im Text niedergeschrieben oder weggelassen werden.
Die zugehörige Frage ist: In welcher Gemütsverfassung war der Autor?
Fazit: Zusammenfassend bleibt, dass ein Text viel mehr ist als die Summe seiner Worte. Meistens wird es schwer sein, diese zusätzlichen Hintergründe zu ermitteln. Vielleicht erschließt sich zumindest ein Teil, indem man sich zusätzliche Bedeutung zwischen den Zeilen vorstellt.