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Die wirksamen ersten acht Sekunden

Alle Präsentierenden müssen die gleiche Hürde überwinden. Die ersten acht Sekunden sind der Schlüssel zu weiterer Aufmerksamkeit. Zumindest merken sich die Zuhörer vor allem die Botschaften, die in diesem Zeitraum untergebracht werden. Deshalb bemühen sich Politikende in Wahlzeiten um wirkungsvolle Auftritte in der Öffentlichkeit. Diese Werbeveranstaltungen dienen dazu, die unsicheren und unentschlossenen Wähler von sich zu überzeugen. Ein ungeschickter Eindruck kostet Stimmen. Dazu formulieren sie ihre Inhalte in einer Form, die den gewünschten Effekt erzeugt.

In TV-Shows lassen sich die Taktiken leicht beobachten.

  • Persönliches Sprechtempo
    Neben der Körperhaltung, der Mimik und den Gesten vermittelt der Sprechausdruck die Eigenschaften des Redners. Dynamische Lautstärke, Tonhöhe und Betonung liefern Hinweise auf die Vorstellung der Kandidierenden. Ein schnelles Sprechtempo, fehlende Unterbrechungen und Kurzatmigkeit suggerieren Unsicherheit und Unzuverlässigkeit. Langsam mit angemessenen Pausen zu sprechen, vermittelt Gelassenheit, Sicherheit und Führungsstärke. Da öffentliche Redezeiten begrenzt sind, verhindern gemächliche Antworten vor allem die Anzahl der zu liefernden Botschaften und damit das Risiko, etwas Ungeschicktes zu sagen.
  • Keine geschlossenen Antworten
    Um die Redezeit geschickt auszunutzen, wünschen sich Interviewer gern einfache Antworten mit Ja oder Nein. Dies würde jedoch bedeuten, dass Kandidierende sich zu einer Sache unmissverständlich äußern müssten – was den opportunistischen Gründen des Gewählt-Werden-Wollens zuwiderläuft. Anstelle einer klaren Antwort wird die Redezeit mit Standardfloskeln gefüllt: z.B. Unsere Wähler wünschen sich, in allen Regionen unseres Landes, dass wir, die Partei, die Parlamentarier, die Mitglieder in den Bundesländern und Wahlkreisen die Erwartungen erfüllen, wofür sie uns gewählt haben.
  • Schamlos fordern, was sie bisher nicht getan haben
    Solange eine Wahl das Bisherige verlängert, können die Wiederzuwählenden alle offenen Aufgaben auf die nächste Amtsperiode verschieben. Schwierig wird es, wenn große Veränderungen anstehen. Die Wettbewerbenden prangern fehlende Ergebnisse und Missstände an. In diesem Fall blasen sie in das gleiche Horn: z.B. Es muss endlich Schluss sein mit dieser Untätigkeit. Wir brauchen nicht noch mehr Regelungen. Wir müssen endlich mal etwas umsetzen.
  • Vorwürfe zurückspiegeln
    Manche Vorwürfe bezüglich der Versäumnisse der vergangenen Jahre sind leicht nachzuweisen. Erklärungen würden wie Entschuldigungen wirken. Aus diesem Grund ist Angriff die beste Verteidigung. Besonders dann, wenn die neuen Regelungen die eigene Klientel benachteiligen. Es wird einfach dem politischen Gegner entrüstet unterstellt, was man selbst über Jahre praktiziert hat: z.B. Wir müssen verhindern, dass der politische Gegner die Wähler mit neuen Gesetzen und Regelungen in ihrer Freiheit beschneidet.
  • Wollen allein bringt keine Veränderung
    Die Themen, die die Wähler besonders interessieren, werden erst in den letzten Phasen des Wahlkampfs sichtbar. Die Veröffentlichung des eigenen Wahlprogramms sollte deshalb so spät wie möglich erfolgen. Dadurch lassen sich die Reaktionen der Wähler auf konkurrierende Wahlprogramme nutzen, um das eigene anzupassen. Das Ganze verpackt man dann in Aussagen mit Wir wollen. Die Zuhörenden überhören aufgrund des erklärten Willens, die de facto Inaktivität: z.B. Wir sind einig, dass wir in den nächsten Tagen darüber nachdenken wollen, wie wir das Problem am besten eingrenzen, um danach mit allen zu besprechen, wie wir eine Lösung finden und finanzieren könnten.
  • Behaupten als ob
    Alternativ zum Wollen können die benötigten Schlüsselworte in die eigene Rede eingebaut werden. Gleichzeitig verschieben sie die Umsetzung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag: z.B. Die Klimawende ist für die Welt ein wichtiges Thema. Wir werden die Weichen so stellen, dass wir in 25 Jahren klimaneutral sind.
  • Einfach weiterreden
    Die Moderatoren bemühen sich, die überlangen, nichtssagenden Antworten zu umgehen, indem sie die Frage wiederholen und gegebenenfalls die Antwortenden unterbrechen, wenn sie in diese langen Monologe verfallen. Die erfahrenen Politikenden lassen sich dadurch nicht mehr aus dem Konzept bringen. Sie bauen eine verlängernde Floskel ein und spulen ihre vorbereiteten Botschaften einfach weiter ab: z.B. Lassen sie mich das noch sagen, denn das ist mir wirklich wichtig. …

Fazit: Werden die acht Sekunden Aufmerksamkeit geschickt gefüllt, dann erinnern wir Zuhörer die vorbereiteten Statements. Durch langsames Sprechen lässt sich die geringere Anzahl an Worten besser merken. Gleichzeitig wird weniger mitgeteilt. Vermeiden die Kandidierenden einfache Ja-Nein-Antworten und liefern anstelle „entschiedene“ Floskeln, merkt niemand, dass sie gar nicht geantwortet haben. Etwas zu fordern, was man bisher hätte erledigen können, zeigt mangelnden Respekt gegenüber den Wählern, die so für dumm verkauft werden. Beim genauen Hinhören bemerken wir die opportunistisch genutzten momentanen Schlagworte. Allerdings werden ungewollte Absichten verstärkt mit Wir wollen verpackt – wie ernsthaft sie dadurch bleiben, liegt im Ohr der Zuhörer. Erwarten die Wähler bestimmte Ergebnisse, dann werden sie versprochen – für Jahrzehnte nach der nächsten Legislaturperiode. Der Wahlkampf ist eine Blütezeit für Berater. Besonders Coaches bringen den KandidatInnen Körpersprache, Mimik, Gestik und Intonation bei. Für uns Wählenden ist es unerlässlich, die Aufmerksamkeit über die acht Sekunden hinaus aufrecht zu erhalten. Nur so erkennen wir die Kandidierenden.

!!!Gehen Sie wählen!!!

Wer ist verantwortlich?

Den etablierten Politiker laufen die Wähler davon. Als Gegenmaßnahme zeigen sie Muskeln, indem sie das populistische Verhalten ihrer politischen Gegner übernehmen. Sie fallen in den gleichen Pöbelstil, den sie eigentlich kritisieren. Obwohl die EU, NAFTA, MERCOSUR, APEC und andere Freihandelsabkommen die Regionen weiter zu größeren Bündeln zusammenfassen, entwickeln sich weltweit immer mehr nationalistische Strömungen. Dies schwemmt Politiker nach oben, die die Verunsicherungen der Wähler ausnutzen, um deren Stimmen zu erhalten. Es geht aber auch um jene, die ihre Stimme diesen neuen Strömungen geben sowie die Mitbewerber, die die Ängste nicht ernst nehmen und dadurch kontinuierlich Stimmen an die neuen Alternativen verlieren. Die Frage, die sich aufdrängt, ist: Wer ist eigentlich für diesen Rechtsruck verantwortlich?

Alternativen

Gewinnen populistische Strömungen durch besonders gute Angebote? Oder wünschen sich die Wähler genau die angebotenen Lösungen? Oder haben die etablierten Parteien einfach keine Antworten mehr? Betrachten wir die drei Gruppen.

  • Die Gewinner
    Die neuen, politischen Strömungen, allgemein Populisten genannt, haben die virtuellen Möglichkeiten des Internets und der Massenmedien für sich entdeckt und nutzen geschickt den direkten Weg zum Wähler. Einerseits bieten sie Informationen, die neue Nahrung zu Stereotypen liefern – Falschmeldungen bzgl. Sozialleistungen und Vergehen von Flüchtlingen. Gleichzeitig übernehmen sie positiv belegte Slogans und schaffen es damit sogar in die Leitmedien – angefangen mit „Wir sind das Volk“ bis hin zur Verkleidung mit der Marke von Anonymus für einen Facebook-Account. Eigene Inhalte und praktikable Lösungen finden sich hier nicht. Die Gewinner schaffen es aber trotzdem, eine Wählerschar hinter sich zu bringen und damit das politische Leben zu verändern.
  • Die Wähler
    Spätestens seit der deutschen Wende ist die Politiklandschaft in Bewegung geraten. Einerseits ist die große Wählergruppe aus den neuen Bundesländern hinzugekommen. Gleichzeitig brachte die PDS-Nachfolgepartei eine neue politische Strömung aufs erstarrte Parkett. Während zwischen 1972 und 1983 der Anteil Nichtwähler zwischen 8,9% und 10,9% schwankte, haben wir zwischen 1990 und 2009 von 22,2% bis 29,2% der Wähler, die nicht mehr zur Wahl gehen. Dies ist ein großes Potenzial, das von neuen politischen Alternativen anvisiert werden kann. Spannend wird es bei der nächsten Bundestagswahl. Sinkt der Anteil an Nichtwähler bemerkbar? Welchen Anteil erhalten die neuen Parteien? Die Wähler entscheiden über die Zusammensetzung der Parlamente und sind damit die eigentlich Verantwortlichen. Durch die Wahl einer Partei geben sie dieser den Einfluss – egal ob sie Lösungen anbietet oder nicht.
  • Die Verlierer
    Lange Jahre der politischen Arbeit, der Wunsch wiedergewählt zu werden, der Fraktionszwang und das unvergängliche Gedächtnis der Medien haben die etablierten Parteien weichgespült. Politiker sichern ihren Status, indem sie dem Wählervolk nach dem Mund reden – auch wenn dies dazu führt, dass man keine eigene Position mehr vertritt. Stabile Positionen und Werte haben sich einerseits verfestigt, aber andererseits zeigt die Realpolitik nach der Wahl, dass die Umsetzung der hehren Ziele, hinter den ursprünglichen Ansprüchen zurückbleibt. Berufspolitiker erhalten ihre Leistungsbeurteilung bei der Wahl. Wen überrascht es, dass sie dafür ihre Ansprachen an Umfragen ausrichten. Bis auf wenige Ausnahmen treten persönliche Einstellungen hinter dem Fraktionszwang zurück. Die Aussagen verlieren ihren Aktualitätsbezug, wenn lange zurückliegende Zitate, über Jahre hinweg, aus dem Zusammenhang gezogen und gegen die Kandidaten genutzt werden. Während zu Beginn alle etablierten Parteien sich gegen den Populismus der neuen gewendet haben, bemerken sie, dass ihnen ohne diesen Stil, breite Wählerschichten wegbrechen. Zwar möchten alle stets gefragt werden, aber es gibt keine Antworten mehr. Politiker nutzen die Redezeit, um trotz wiederholter Nachfrage auswendig gelernte Texte herunter zu leiern. Die alten Parteien tragen durch ihre unklaren Positionierungen und unglaubwürdigen Angeboten wesentlich zum Verfall der politischen Kultur bei.

Fazit: Wahlergebnisse werden von Wählern gemacht. Politiker machen mehr oder weniger konkrete Angebote, die die Wähler zu verleiten versuchen. Derzeit scheint eine große Menge der Bürger keine Lust mehr zu haben, sich von den etablierten Parteien einen Bären aufbinden zu lassen.
Verantwortlich für diese Entwicklungen sind die Wähler und die traditionellen Berufspolitiker. Die Wähler verstecken ihre Wahlentscheidung hinter fragwürdigen Begründungen: Wir zeigen es euch mal, wer am längeren Hebel sitzt; zur Strafe wähle ich gar nicht; die haben doch recht. Die etablierte Politiklandschaft hat aufgrund von Jahrzehnten der Kontinuität und Politikroutine sowie durch die Karriereinteressen der Politiker ihren Zweck verloren.