Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Gute Fragen, um einen Sachverhalt zu erfassen. Veröffentlichungen werden immer mehr auseinandergenommen. Aus diesem Grund vermeiden viele, direkt zu kritisieren, um sich nicht selbst der Kritik auszusetzen. Es ist auch nicht mehr nötig zu verurteilen, da es genügt, das Thema zu erwähnen. Unsere eingeübten Bewertungen führen dann automatisch zu einer kollektiven Verurteilung – ohne direkt anzuprangern, sondern durch einfaches erinnern.
Eine geschickte Erinnerungskultur kann genutzt werden, um das Stigma einer sozialen Gruppe im Bewusstsein der Gesellschaft wach zu halten, aufzufrischen oder neu aufzubauen. Beispiele finden sich überall. So hält Japan jedes Jahr am 6. August in Hiroshima und am 9. August in Nagasaki die Erinnerungen an die Atombomben wach, die 1945 von den USA auf Japan abgeworfen wurden. Oder denken wir an die westlichen Medien, die die Erinnerung an den Zwischenfall vom 4. Juni 1989 am Platz des Himmlischen Friedens in Peking regelmäßig unter dem Titel Tian‘anmen-Massaker auffrischen. Oder die Rede von Präsident Obama am 24.7.2008, an der Siegessäule in Berlin, in der er den Geist des Kalten Krieges wieder neu aufgebaut hat *1.
Der Vorwurf steckt sozusagen in dem entsprechenden Erinnerungsritual – Veröffentlichungen, Reportagen, Veranstaltungen und ähnliches. Besonders wirkungsvoll sind dabei die folgenden Elemente.
- Schlagworte
Dabei handelt es sich um Begriffe, die mit einer emotionalen und wertenden Bedeutung bestimmte Assoziationen bei der Zielgruppe auslösen, z.B. Linke und Rechte, Freiheitskämpfer und Terrorist, Kapitalismus. - Bilder
Die Mediengesellschaft hat eine Unmenge von Bildern im kollektiven Gedächtnis verankert, z.B. Abu-Ghuraib, der flüchtende Volkspolizist an der Berliner Mauer, der Chinese, der mit Einkauftüten sich am Platz des himmlischen Friedens den Panzern in den Weg stellt (s. Bild oben). - Zeitzeugen
Die Aussagen, mit denen sich Zeitzeugen nach vielen Jahren an Ereignisse erinnern. - Vergleiche
Der Vergleich aktueller Ereignisse mit historischen Geschehnissen liefert gleichzeitig eine Einschätzung der aktuellen Situation. Beispielsweise im Jahr 2014 der Vergleich zwischen dem Beginn des ersten Weltkriegs und den aktuellen politischen Situationen in der Welt.
Die Erinnerung hält die Bedeutung an Sachverhalte, Geschehnisse und emotionale Erlebnisse wach. Auch wenn die Situation sich überlebt hat, bleiben damit alte Gefühle erhalten. Einerseits kann es dazu beitragen, dass ähnliche Dinge nie wieder geschehen. Andererseits verpasst man die Chance des Vergessens und Vergebens und alte Abneigungen bleiben über lange Zeit erhalten.
Fazit: Direkt kritisieren, beschuldigen, brandmarken und verurteilen ist die Ultima Ratio, um Missstände anzuprangern. Der subtilere Weg geht über das Gedenken. Das hält den einstigen Missstand wach und die ursprüngliche Emotion aktiv, ohne dass man durch die Nutzung von aktiver Kritik selbst angreifbar wird.
*1 „In diesem Jahrhundert – in dieser Stadt aller Städte – müssen wir die Geisteshaltung des Kalten Krieges verwerfen, uns von der Vergangenheit lösen und entschließen, mit Russland zusammen zu arbeiten, wenn wir können, aufzustehen für unsere Werte, wenn wir müssen und nach einer Partnerschaft suchen, die sich über den gesamten Kontinent erstreckt.“ 24.7.2008